Sunday, October 08, 2006

Ein Buch fuer alle Filmfreunde, und fuer Doktor El Baradei

Ich war noch nie in Nordkorea. Ich war sogar noch nie in Asien. Das macht aber ja nichts, weil Christian Kracht und seine Freunde ueberall hin fahren fuer mich, und wenn es nur wegen der Stempel im Pass ist.

Eva Munz und Lukas Nikol haben in diesem fein anzufassenden Band (Querformat, laesst sich hervorragend an den kurzen Seiten in einer Hand tragen, zum Beispiel beim Marsch durch andere Filmkulissen wie London) Bildeindruecke aus Nordkorea versammelt, und ‚der komplizierteste Ironiker der deutschen Gegenwartsliteratur’ Christian Kracht hat einen noch schoeneren Text dazu geschrieben. Es werden zur Enttaeuschung aller Feuilletonmitarbeiter keine Markenartikel erwaehnt und auch der Dandyismusverdacht greift diesesmal etwas kurz. Stattdessen finden sich Photographien, die aus der Zeit gefallen scheinen, denn sie tragen eine Patina wie wir sie aus Guido Knopps grossartigen ZDF-Historienfilmen ueber die deutschen Versuche am Totalitarimus kennen.

Die Juche-Philosophie, eine nordkoreanische Spezialitaet, kann jeder Einzelne versuchen in den vielen Farbtafeln wieder zu finden, und es empfiehlt sich ein Oszillieren zwischen Krachts einleitenden Worten und den Farbphotographien von Munz und Nikol. Die Zitate aus Kim Jong Ils Standardwerk zur Filmkunst sind zwischen oder gar in die Photographien montiert, und ein Schelm oder ein Feuilletonist wer Boeses dabei denkt: Ganz offensichtlich hat naemlich Kim Jong Il alles verstanden, er ist, frei nach Emmanuel Carrere einer der wenigen, der den Mann am Tresen gesehen hat, welcher das Bierglas einschenkt (und wir alle leben im Sonnensystem, das lediglich eine Luftblase im Bier darstellt). Vielleicht aber auch haben stattdessen Kracht, Munz, und Nikol endlich fuer uns aus dem Bierglas geschaut und uns mit anruehrend schoenen Bildern und Worten gezeigt, das nicht alles immer so ist es wie es scheint. Lieber Doktor El Baradei, kaufen Sie sich dieses Buch und geben Sie es nie wieder her.

Wenn ich nun gleich heim spaziere und mich auf zahlreichen CCTV-Kameras verewige, denke ich an Nordkorea, die groesste Filmkulisse der Welt, und dies alles dank dieses schoenen Buchs. Dass es nur beim Versand Zweitausendeins (2001) zu erwerben ist, wuerde Stanley Kubrick, Arthur C Clarke, und nicht zuletzt den Filmfreund Kim Jong Il sicher sehr freuen.

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Adnote -- Freund O. bemerkte dazu am 01. Oktober
sehr korrekt folgendes:

"Hatte gestern in der sueddeutschen
in einer kleinen notiz gelesen, dass sich kim jong il
zuweilen von doppelgängern vertreten lässt,
'die dem herrscher nordkoreas so ähnlich sehen,
dass selbst regierungsvertreter nichts von der
täuschung wüssten'.

Da ich gerade in gesamtkunstwerk-totalkunst-totalitarismus
stecke, wurde mir gewahr, welch absurdität in der
vorstellung steckt, dass die vielleicht nicht nur zur
sicherheit dienen sondern das maß der inszenierung um
eine weitere realitätspotzenz erhöhen und den ganzen
totalitarismus eigentlich zurück ins gesamtkunstwerk heben,
dessen einziger rezipient eben kil jong il ist mit sich
und doch nicht ich als protagonisten."

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