Monday, May 26, 2008

Always on my mind

“Etwas musste dem Vogel zugestoßen sein, denn ohne dass er wohl wusste wie ihm geschah, saß er eines Sonntag morgens plötzlich auf meinem Balkon fest. Ich hörte ein seltsames Geräusch, und als ich aufschaute, saß dort, vor meiner Balkontür (die hier schon öfters als beabsichtigt zum Thema wurde) ein großer Vogel. Er schaute mich unverwandt an, so, wie vielleicht nur Hirngeschädigte schauen können: Man fühlt sich addressiert, und schaut doch ins Leere, und das Leere in einen zurück.

Doch etwas komplizierter war es doch mit diesem großen, schwarzen Vogel. Nach Minuten, während denen er etwas ratlos umhergeschaut, sich die Flügel geputzt und sich ansonsten hopsend hin und her bewegt hatte, ging ich hinaus zu ihm. Die Situation war uns beiden unangenehm, aber er überwand die beredte Stille schließlich und sagte: «Hast Du vielleicht etwas von Willie Nelson da?»

Das sagte er wirklich, und ich dachte, ich mache uns die Freude, eilte kurz ins Wohnzimmer um auf dem iPod mühsam Always on my mind von Willie Nelson einzustellen. Und als Willie gerade begann sich warm zu schießen auf der Gitarre, war ich wieder zurück auf den Balkon-Planken. Der Vogel hatte sich selbst auf einen den Monobloc-Stühle gehievt, und es war mir unangenehm, dass ich vergessen hatte, die Stühle noch einmal abzuwischen; davon, wie dreckig sie immer werden, hatten mir meine Dadaisten-Freunde natürlich nichts erzählt.

Den Vogel schien es nicht zu stören. Er schaute auf den vollen Aschenbecher—Nicht meine!, aber bevor ich zu einer meiner stets zu elliptischen Erklärungen ansetzen konnte, schaute er mich wieder an, die Leere seines Patienten-Blicks war der Bestimmtheit eines Wanderpredigers gewichen. Die Angst, die mich befallen hatte, als wir uns zuerst durch die Scheibe taxiert hatten, war wieder da.

«Mein Flügel ist gebrochen, mein Freund. Ich werde sterben. Nur noch einmal Willie hören. Hast Du Zigaretten?» Mir schoß nicht weniger als mein Leben durch den Kopf, und Zigaretten hatte ich auch keine für ihn. Ich dachte an die abgelehnten Manuskripte, an die einzureichenden Manuskripte, und an all die Experimente, die warteten, und die verlorenen Freunde, und wie langsam sich die Lebenszeit durch das Nadelöhr des Jetzt schält, und wie im Breisgau der Spargel sich aus dem sandigen Boden kämpft, und wie Sebald gegen den Baum fährt, oder war es überhaupt ein Baum, und wie Hoffmann auf seinem Fahrrad durch Basel taumelt, und ob man auf einem Fahrrad taumeln kann, und dass ich ins Kloster gehen werde, doch, einfach so, auch wenn ich gar nicht glauben kann, aber dass das doch egal ist, die müssen mich doch nehmen, und dass ich Angst habe vor allem.

Ich fragte mich, wieso erst dieser Vogel hier notlanden musste, damit ich mir das alles eingestehe. Die Situation war mir immer noch höchst unangenehm, und ich wählte den ältesten meiner Tricks, ich sprang auf und fragte, ob er vielleicht doch etwas trinken wolle, oder einen Arzt, ich kenne eine gute Veterniärmedizinerin, selbst habe ich leider keine—«Sterben, mein Freund. Lass nur.»—«Ein Bier?»—«Mhmja gut, ein Bier.»

Ich ging fahrig in die Küche hinein, den Kopf sehr durcheinander und den Blick selbst so leer wie eben nur schwer verstörte oder schwer geschädigte Hirne es hinbekommen, und als ich wiederkam mit zwei Bier und vielen Fragen, war der Vogel natürlich fort.

So enden solche Geschichten, und ich bin sicher, Sie glauben mir kein Wort, aber es ist alles wahr.”



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