Monday, March 23, 2009

Gespenster

”None of the things you make up will be as hair-raising as the things people tell you”
—W.G. Sebald, to his students

Vor langer, langer Zeit wandelte ich mit Bruder und Freundin über einen kleinen Krämermarkt inmitten Berlins, und folgender dreisätziger Dialog trug sich zu.

(Freundin) “Schau mal, eine Barbie.” — (Ich) “Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon.” — (Bruder) “Ein schlechter Scherz.”

Damals war Klaus Barbie wegen seiner späten Verurteilung ein Name und ein Gesicht des täglichen Lebens gewesen, und ausser darüber, wer in unserer Familie die wirklich guten Sprachscherze macht, sagt diese Geschichte wenig aus, und sie wäre nicht wert berichtet zu werden. Wäre mir da nicht, so unvermittelt, inmitten einer sehr prosaischen Dienstreise, dieser Tage das Gespenst Klaus Barbie begegnet; und das kam so.

Die gastgebende französische Kollegin führt mich auf einen großen Exerzierhof, mit Trikolore, in saftigen Sonnenschein getaucht, wie ich sie nur aus Inspektor Clouseau-Filmen kenne, und von denen ich dachte, Blake Edwards hätte sie erfunden. Wir sind unterwegs in ihr Büro, in dem den Hof umgebenden Gebäude. Wir halten aber inne, und sie erklärt mir, eher eine Fremden­führerin imitierend als eine sein wollend, dass sich hier im Hause auch das Museum der Résistance befinde, und die Institute für Human– und Sozial­wissen­schaft­en. Hellhörig werdend folge ich ihr ins Haus und in den Aufzug.

Dort lese ich, dass alle Seminarräume im Haus un­gewöhn­lich­er­wei­se nach Personen benannt sind. Auf mein Nachfragen hin bestätigt sich, das alle diese Namen Personen gehörten, die sich den deutschen Besatzer auf die eine oder andere Art widersetzten und dafür in eben diesem Gebäude, in den Kellerräumen, ihr Leben ließen oder eine Fahrkarte nach Ravensbrück oder Sobibor oder zu ähnlich unheils­schwang­eren Orten zugewiesen bekamen.

Ich verstehe, plötzlich: Ich bin in Lyon. Dies war der Bauch des Leviathan, dies ist das Haus Klaus Barbies. Hier hatte er munter versucht, den französischen Widerstand auszurotten, um in der damals beliebten Diktion zu bleiben. Wir gehen in den Gewölbekeller hinab, später; ich lese neben jeder der sehr frisch gestrichenen grossen Türen die fremden französischen Namen und verstehe sonst nur noch die vertrauten deutschen und polnischen Dörfer, die zu so unheilvollem Ruhm gelangten. Dissoziativ und filmartig wird alles; wie in einem Photoshop-Effekt zieht mein Hirn die Farbe, den Teppich und die Hinweisschilder ab; was bleibt ist ein Kellergang mit vielen verließartigen Türen und—als Metonymie gleichsam—mit allem, worauf man als Enkel des Westfeldzugs eben so stolz sein kann.

Die Kollegin zeigt mir dann endlich ihre schöne neue Versuchskammer hier unten, mit riesigem Bluescreen für Video-Aufzeichnungen, mit einem noch ganz nach Verpackung duftenden Mikrophon und teurer Schalldämpfung. Alles ist bereitet, damit in diesem Keller mit harmlosen EEG-Experimenten an gesunden Studenten etwas Sinnvolles herausgefunden werden kann.

Als wir später auf der Autobahn von fast allen ent­gegen­kom­men­den Autos vor den Polizeikontrollen gewarnt werden mit Lichthupen, und als dann noch später am Bahnsteig alle gemeinsam—mit satten 68 Euro strafbewehrt und guter Dinge—gegen das Rauchverbot anrauchen, dünkt mir, wieso Lyon ein Museum für die Résistance hat und zuhause man sich kaum an Georg Elser erinnern kann.

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