Monday, June 22, 2009

Of flags and freedom

—Tehran, GMT +330

No worries: Your beloved literary and fine arts enterprise WALL OF TIME. will not branch out and strive for world domi­nation—but if any opportunity arises to add a few grains of subversion here or a light touch of terribly old-fashioned, out-of-date yet lean hyper­text mark­up language code there, we do what we can.

Very recently, DIE GROSSE FLAGGE, previously announced here, have relaunched their website and we humbly tried to make them look good, hip, old-fashioned, idealistic and nonchalant at the same time.

Note especially how the proto-fascist social network of FACEBOOK is hemmed in and watched over by DIE GROSSE FLAGGE’s 1997-style Frame set.




Dieser Beitrag ist auf Englisch, doch einiges an der Zeitmauer gibt es auch in der hervorragenden Kultur- und Verwaltungssprache Deutsch zu lesen.

Classics of Camp (VIII): Stürme, endlich.

Und einmal dachte ich, ich hätte Dich gesehen, in einer überfüllten, schummrigen Kneipe, wie Du auf dem Licht von Stern zu Stern tanztest

[J’ai tendu des cordes de clocher à clocher; des guirlandes de fenêtre à fenêtre; des chaînes d’or d'étoile à étoile, et je danse.—ist das Rimbaud?]

weit draussen auf dem Mondstrahl. Ich weiss, wer Du bist: Ich habe das Braun in Deinen Augen gesehen, und wie es einmal zu Feuer wurde. Du bist ein Sturm.

Du bist ein Sturm. Ruhe in Deinen Augen, vielleicht, aber ich werde fort­geweht, irgend­wohin wo es sicherer zugeht und das Gefühl über­dauert. Ich will Dich lieben, aber es weht mich fort.

Ich bin ja nur ein Träumer. Aber Du bist nur der Traum; irgendjemand hätte Du sein können. Doch kurz bevor Du mich berührtest: Dieses vollendete Gefühl, wenn sich die Zeit einfach auflöst zwischen uns, auf dieser undurchsichtigen Reise. Du bist ein Sturm.


Apologies to our readers who prefer our English posts.

Wednesday, June 17, 2009

Testimony (III): Kippi was here.

Gestern bin ich dem deutschen Künstler Martin Kippen­berger hier begeg­net. Er ging schweren, lang­samen Schrittes. Ich sprach ihn natürlich an, wie ich alle anspreche. Herr Kippen­berger, sind Sie das? Kurzes Nachdenken auf Seiten des Kolosses mir gegenüber, ob Weitergehen nicht das Beste wäre.

Ja, bin ich. Nun ist ja dieser große deutsche Held seit langem tot, und an seinem Grab auf dem Düsseldorfer Friedhof kann man jeden Samstag die Kinder beobachten, wie sie Fange spielen, und wenn der im­pertinente Jon­athan Meese mal wieder im manischen Stile eines Elton John ein Farben­geschäft leerkauft und sich unbeobachtet fühlt, dann lacht er immer sehr laut und grüßt jovial zu dem Kippenberger-Wandbild hinauf, das dieser einmal als eine postironische DDR-Reminiszenz photographieren hatte lassen. Um so mehr freute ich mich, dieses lebende tote Denkmal bei offenbar bester Gesundheit in sich gekehrt durch die Ruinen der neuen Leipziger Schule spazieren zu sehen.

—Was ist mit der Zeit passiert, Herr Kippenberger?, fiel mir als erstes ein. Da endlich lachte er.

—Die Zeit, die Zeit, rief er mehr hinaus als mir zu, die haben die Chinesen gekauft, das weiss doch ein jeder, sag mal, wo lebst du denn; die Chinesen sind ja das Nächste Grosse Ding, und jetzt geh ich nach Hause und male schön.

Seltsamerweise machte er zu diesem Ausruf aber zwei Riesenschritte auf mich zu, und sagte das alles mit einem entgleitenden Lächeln, das ich eher als Bedrohung empfand, und ich glaubte plötzlich einem lokalen Kippenberger-Darsteller und gescheiterten HGB-Faktotum in die Axtmörder-Arme gelaufen zu sein. Sehr, gut, sehr gut, nickte ich noch völlig überemphatisch, und Ja, Chinesen, und verabschiedete mich, servil rückwärts in meinen Kinderschuhen stolpernd.



Apologies to our readers who prefer our English posts.

Thursday, June 11, 2009

Haarrisse

“In general, the sources of historical knowledge can be separated into three categories: what is written, what is said, and what is physically preserved, and historians often consult all three.”

Ich bin Theodor Fontane, mit siebzig Jahren, wie er sich versucht vorzustellen, ob Effis Zimmer links oder rechts von jenem Innstettens gelegen ist und wie er alles genau vor sich sieht auf einmal, und wie er, obschon so alt, so große Kunst schafft, weil er ja nur erzählt; erzählen muss, erst seit ein paar Jahren, in einer unangestrengten Perfektion, die mich schaudern lässt, und wie er noch keine Autos hat und keine Mobiltelephone, und wie ihn das überhaupt nicht daran hindert, in meiner Sprache zu mir zu sprechen, der ich genau gespiegelt am zwanzigsten Jahrhundert seine Worte in Händen halten darf.

*

Ich bin Chuck Mangione, wie er sein Flügelhorn—jemand muss einmal einen Palast, mit Wolfsmilchtapete ausgegeschlagen, errichten für das wunderschöne Wort vom Flügelhorn—wie er also sein Mundstück in dieses Horn steckt, die Lippen an- und entspannt, wie nur Blechbläser es vermögen, bevor es in die Töne geht, und wie er dann zu James Bradley Jr. nickt, damit der dieses seltsame Metrum lostrete, und sein dünner werdendes Haar weht ganz bar jeder Prätention.

*

Ich bin Max Frisch, der ein Idiot ist, er weiss es sogar selber, wie er an seinem Tisch sitzt und seine Lieblingspfeife von Vauen sich ansteckt, und weiss, dass in diesem neuen, letzten Buch soviel Schmerz so lapidar daher erzählt wird, dass es eine Frechheit ist und dass die Wechsel zwischen ich und er—anders als das langsam ausfallende, lange Haar von Chuck Mangione—sehr prätentiös sind und dass er keine Lust mehr hat, seine eigene Genialität noch einmal aufzurollen, und wie dann der Architekt in ihm denkt:

A BEAUTIFUL BOOK IT SHALL BE

und zu seinem Setzer sagt: In Montauk, da könnten Sie doch bitte schön die englischen Einschübe immer in Kapitälchen setzen statt kursiv, und wie er ausgerechnet und der Gerechtigkeit halber dabei gar nicht merkt, wie er Großes schafft.


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Saturday, June 06, 2009

Ich bin das Glück

Ich bin das Glück dieser Erde, so hat der vielleicht nicht unfassbar glückliche Rainer Werner Fassbinder eines seiner Projekte genannt. Eines der erstaunlich wenigen, die er nicht zu Ende gebracht hat, bevor er im Juni 1982 um das Leben kam. Ich bin das Glück, dachte ich vor einiger Zeit, wenige Jahre jünger als Fassbinder, als er starb, und ohne Erde, bescheiden, um nicht zu sagen: demütig.

Es war ein Samstag; ein den Menschen ja oft gelingender Tag. Warum das so ist, darüber müsste man einmal gesondert nachdenken. Samstags fällt vieles leichter. Samstags sehen die Gesichter auf der Straße farbiger aus, und die Bücher in der großen Handlung am Marktplatz klingen besser, wenn ich sie überfliege, und die Zwiebeln und die Mayon­naise fügen sich sanfter als sonst zu den frittierten Kartoffelschnitzen dieses kleinen Kartoffel­schnitz­pavillons inmitten der Stadt, wo—am Rande bemerkt—die Verkäufer­innen eigentlich jeden Wochentag eine erstaunliche Lebens­zugewandtheit ausstrahlen.

Ich bin das Glück, dachte ich also, wie ich durch eine Fussgängerzone lief, eine sterile Zone aus Kopfsteinpflaster, Panflöten und Schlemmer­meier-Filialen; eine Zone, deren Erfindung—so hätte ich an jedem nur unwesentlich schlechteren Tag befunden—die Seele unserer Innen­städte doch eigentlich mehr verheert hat als die Städte­planer der englischen Brand­rodung dies je vermocht hätten.

Aber an diesem jenen Tag ging ich dort mit den anderen Gängern, und empfand große Sympathie für das Mädchen mit der dünnen Stimme und ihren Freund mit der kubanischen Zigarrenkiste, auf die er einhämmerte. Ich war froh, am Leben zu sein, gesundet an Leib und Geist, gewandet in Sicherheit spendende Stoffe von Männer und Frauen ihres Faches; arm an Zahlungsmitteln, aber reich an sogenanntem Dispositions­kredit, der mich zu disponieren mir erlaubt. Ich bin das Glück, dachte ich.

Und das Glück blieb, den ganzen Tag, und es wurde zu einem nur unwesentlich älteren Mann mit seinem Kontrabass, der auf Ladino sang, der vielleicht einmal aus­sterbenden Sprache (und sei es drum) der sephardischen Juden, und ich war froh und labte mich eine ganze Nacht und einen ganzen weiteren, dann so leichten Sonntag an diesen Liedern und an diesem Wort: Sephardisch, weil es so schön ist und so viele wortlose Kon­notationen in sich trägt.

Während ich hier diesem Glück nochmals nachspüre (als Residuum ist es noch da, ich kann es ganz leicht herauf­beschwören, nur nicht zu laut sprechen darf ich), dringen die melismatischen Tonfolgen aus dem Nachbarzimmer herüber, und jener Samstag dehnt sich zu allen Samstagen, und allen Tagen eines Daseins, und die Erinnerung perlt und resoniert, und ein geglücktes Leben erscheint plötzlich denkbar. Ich bin das Glück, und Du bist es auch.


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