Friday, April 16, 2010

Passagiere mit der Flugnummer 2012

Die Geschichte fängt an jenem Tag an, als die Flugzeuge am Boden blieben. Es ist ein Tag im April, als ganz unvermittelt das Geschehen zum Erliegen kommt. Fast kommt dies einer Umkehr des Auspruchs jenes französischen Dichters gleich, der da von den nie enden wollenden Geschehnissen und der deshalb längst ausgehauchten Geschichte sprach.

Heute, an jenem Tag, ist es genau anders herum. Ein Vulkan spuckt wieder, nach einer Zeitspanne, die ihm selbst wie ein Sekundenschlaf vorgekommen sein muss. Aus seinem Schlund fliegt heißes Gestein, seit Jahrmillionen zu einem äonischen Sugo verkocht. Es fliegt sehr hoch hinaus, Eruption nennt man dies nicht ohne Grund; dort oben fliegen schimmernde Steine und schwarze Asche aus Glas. Und dann?, fragen Sie jetzt vielleicht.

Nun, schöner könnte es sich Ernst Jünger, über seinem Trollinger raunend, nicht ausgedacht haben: Der Menschen hektisches Treiben, dessen Schmiermittel seit einiger Zeit (ein paar Jahrzehnte mögen es sein) diese Massentorpedos, düsengetrieben und mit Paketen zu je zwei–, dreihundert Menschen besetzt, sind, es kommt zum Erliegen, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie gestrandete Wale stehen die Torpedos nun auf den Rollbahnen umher. Nur dort oben, auf drei­und­dreissig­tausend Fuß, wären sie, wozu sie gemacht sind: Transportraketen, von anmutender Eleganz und mit für erdengeborene Hirne unermeßlicher Geschwindigkeit, die sich dadurch wiederum dem Stillstand annähert.

Doch im Wolkennebel der Erdensteine, die selbst fliegen gelernt haben, oder vielmehr es nie verlernt hatten, stockt den Übermaschinen das Triebwerk, und die schmelzenden Steine in ihren Trieb­werks­schaufeln drehen ihnen im Wortsinne die Luft ab, wie Tante Margarethe damals jenes verhängisvolle Sahnebonbon.

Ein paar Jährchen Zivilisation, hinfortgepustet oder zumindest auf das Drastischste in Frage gestellt von heissen Steinen. Infragegestellt—dies nur am Rande—natürlich nicht von unzufried­enen In­genieurs­student­en aus islamisch geprägten Ländern und schon gar nicht von Pfarrhaushaltsabkömmlingen aus dem Schwäbischen. Auch kein Weltuntergang, oder ähnlicher Mummenschanz. Sondern eher eine kleine Selbstbefragung des Systems, eine Art Sich-lässig-am-Rückenkratzen des Mutterschiffs.

Die Forscher gelangen nicht zu ihren Tagungen; die Poster nicht zu ihren Rezipienten; die Ersatzteile nicht zum Formel-Eins-Zirkus; und die schwammig gewordenen Geschäftsreisenden müssen weiter Paulaner-Bier in einer billigst verkleideten Flughafengastronomie trinken, bis die Kreditkarte endlich sich selbst verbrennt.

So, in diesem Nicht-Geschehen, haben wir endlich Zeit nachzudenken; Zeit, uns an den Steinen zu messen; und endlich können wieder die Geschichten beginnen. Hier beginnt Geschichte, aufs alte Neue. Schicksalszeit hat der Alte aus Wilflingen das genannt, und ich dachte, es läge am Rotwein oder so, denn ich hatte ja keine Ahnung, wovon er sprach.






Apologies to our readers who prefer our English posts.

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